Lehren aus Afghanistan

von hierl

15/03/2024

Die Sulzbach-Rosenberger Zeitung hat mich zu meiner Arbeit in der Enquete-Kommission Afghanistan befragt. Im Fokus standen die Fehleranalyse und eine Halbzeitbilanz der Kommission. Lesen Sie hier den gesamten Artikel.

20 Jahre lang hat Deutschland versucht, in Afghanistan eine Demokratie aufzubauen – das ist kläglich gescheitert. Eine Bundestags Kommission soll Lehren ziehen. Die Amberger Abgeordnete Susanne Hierl sagt, was künftig besser laufen muss Sulzbach-Rosenberg.

Die Zeit der großen Auslandseinsätze der Bundeswehr scheint erstmal vorbei zu sein. Afghanistan haben deutsche Truppen 2021 verlassen, in Mali läuft der Abzug. Oberste Priorität hat nun Abschreckung gegenüber Russland an der Nato-Ostflanke. Nicht Terrorbekämpfung am Hindukusch, sondern die lange vernachlässigte Landes- und Bündnisverteidigung ist nun wieder Hauptaufgabe deutscher Soldatinnen und Soldaten. Heißt das also: Afghanistan, Schwamm drüber? Auf keinen Fall, sagt Susanne Hierl. Die CSU-Abgeordnete für den Wahlkreis Amberg arbeitet seit zwei Jahren in der Enquete Kommission (siehe Infokasten) des Bundestags an der Aufarbeitung des größten und verlustreichsten Einsatzes in der Geschichte der Bundesrepublik mit. „Es geht nicht darum, nur zurückzuschauen, sondern uns auf die Zukunft vorzubereiten. Wir haben uns angeschaut, wie der vernetzte Ansatz funktioniert hat, also die Zusammenarbeit von Verteidigungs-, Außen- und Entwicklungshilfeministerium, und wie wir den Ansatz künftig überhaupt mal richtig ins Leben rufen können.“

„Was haben wir ihnen angetan?“

 Der Ansatz funktionierte nämlich, so die 50-Jährige, nur in der Theorie. Vor kurzem präsentierte das Gremium seinen Zwischenbericht – dieser deckt erschreckende Fehler und Missstände auf. „Strategisch gescheitert“, heißt es, sei man mit Blick auf die eigenen Ziele von Demokratie, Rechtsstaat und Terrorbekämpfung. Seitdem die westlichen Truppen weg sind, herrschen wieder die fundamental islamistischen Taliban. Frauen haben nichts zu melden, dürfen keine Schulen oder Universitäten mehr besuchen. Hierl macht das betroffen. „Was haben wir eigentlich den Frauen und Mädchen angetan? Die haben 20 Jahre lang ein relativ freies, selbstbestimmtes Leben führen, Berufe ausüben und wählen gehen können und gesehen, es geht auch anders. Damit hadere ich ganz arg.“ Doch umgekehrt wehrt sich die Abgeordnete gegen das pauschale Urteil, der Einsatz sei völlig umsonst gewesen. Sie will die Leistung der Soldaten nicht geringgeschätzt wissen. „Ich glaube nicht, dass er gescheitert ist. Das, was wir da gemacht haben, war richtig. Wenn wir von Scheitern sprechen, dann von einem Scheitern der Voraussetzungen, die wir [die Politik, Anm.d.Red.] gegeben haben, aber nicht, weil die Soldaten oder zivilen Kräfte einen falschen Job gemacht hätten.“ Auch die von den Deutschen gebauten Brunnen, Leitungen und Straßen, „das ist alles noch da“. Hierl streitet die Fehlschläge nicht ab. „Es war ein Desaster, vor allem zum Schluss. Wir sind politisch gescheitert, ja, aber das ist nichts, was wir Soldaten und zivilen Helfern zuschieben können, die haben ihr Bestes gegeben.“ Die Vorgaben der Politik seien unrealistisch und zu hoch gesteckt gewesen.

Krieg als Tabu Thema

Doch welche Fehler hat die Kommission nun konkret identifiziert, und warum funktionierte der in der Theorie sinnvoll klingende vernetzte Ansatz in der Praxis ganz und gar nicht? Das ging, so Hierl, schon gleich zu Beginn damit los, dass man sich gegenüber der Bevölkerung in Deutschland nicht ehrlich gemacht habe. „Wir sind nicht rein gegangen und haben gesagt, das ist ein Militäreinsatz. Sondern es hieß, wir machen nur ein bisschen humanitäre Hilfe und Wiederaufbau.“ Es habe lange gedauert, „bis der Erste gesagt hat, wir befinden uns im Krieg“. Diese Offenheit sei erst mit Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg eingekehrt. Doch die Ressortegoismen seien geblieben. Die Militärs hätten den Parlamentariern in den Ausschüssen „ungeschminkt“ die Lage vor Ort geschildert, jedoch: „Man hat das zur Kenntnis genommen, aber nichts geändert.“ Zudem hätten Polizei, Bundeswehr und Hilfsorganisationen alle ihr jeweils eigenes Lagebild erstellt, jedoch: „Das ist nie wirklich zusammengeführt und gemeinsam ausgewertet worden.“ Hierl gibt wieder, was der frühere Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhahn als Gast in der Enquete-Kommission berichtete: „Im Verteidigungsausschuss wurde er immer eingeladen, im Auswärtigen Ausschuss ab und zu, und die anderen Ausschüsse, auch Entwicklungszusammenarbeit, die wollten ihn gar nicht hören.“ Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit oder das Interesse an den Erkenntnissen der Bundeswehr war also offenbar limitiert.

Jeder kocht eigenes Süppchen

Jedes Ministerium habe sein eigenes Süppchen gekocht, aber sich nicht vernetzt und abgestimmt. „Alle wollten koordinieren, aber niemand wollte sich koordinieren lassen“, ist Hierls ernüchterndes Fazit. „Berlin wollte einen vernetzten Ansatz, hat ihn selber aber nicht gelebt. Umgekehrt wurden die Leute in den Einsatz geschickt mit der Botschaft: Na, schaut mal, wie ihr das hinkriegt mit dem vernetzten Ansatz.“ Anspruch und Realität hätten völlig auseinandergeklafft. An diesem Punkt ist die Enquete-Kommission derzeit angekommen. Nun gilt es für die Mitglieder, aus den gewonnenen Erkenntnissen Schlüsse zu ziehen. Im Frühjahr 2025 wollen sie den Abschlussbericht vorlegen, der „konkrete Empfehlungen für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ geben soll. Nicht nochmal dürfe es passieren, dass die Bundeswehr so unvorbereitet, ohne klare Ziele und ohne realistische Umsetzungsoption in Missionen geschickt werde. Gibt es also Grund zur Hoffnung, dass die Verantwortlichen wirklich aus dem Desaster lernen? Hierl: „Ich glaube, wir müssen daraus lernen, weil es gar keine Alternative gibt.“ Zugleich spricht sie mit Blick auf Wahlen und personelle Wechsel in Parlament und Regierung eine Mahnung aus: „Es darf nicht passieren, dass unsere Lehren in der Schublade verschwinden, sondern wir müssen dieses Wissen aufrecht erhalten, auch, wenn die Politiker künftig andere sein sollten.“ 


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