75 Jahre Grundgesetz – Ein Glücksfall für unser Land

23. Mai 2024

Kein Schriftstück hat unser Land nach 1945 so sehr geprägt wie das Grundgesetz. Das Jubiläum ist ein geeigneter Anlass dafür, auf die Entstehungszeit des Grundgesetzes zurückzublicken und die Besonderheiten unserer Verfassung hervorzuheben.

Heute feiern wir den 75. Jahrestag des Grundgesetzes. Ein solches Jubiläum ist ein guter Anlass einen Blick zurückzuwerfen. Warum und wie ist das Grundgesetz entstanden? Zu welcher Zeit ist das GG entstanden? Was war die Zielsetzung? Welche Werte waren den Müttern und Vätern des Grundgesetzes besonders wichtig? Ist das Grundgesetz die Verfassung des Wiedervereinigten Deutschlands? Weshalb können wir darüber freuen, dass dieses Grundgesetz seit 75 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland gilt? Was leiten wir daraus für die Zukunft ab?

Was waren der Anlass für das Grundgesetz und wie war die Ausgangslage?

„Wir wünschen die Einheit Deutschlands, wir wünschen sie von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Wir wünschen ein freies Deutschland, in dem der deutsche Mensch ein menschenwürdiges Dasein führen kann wie jeder andere europäische Mensch. Wir in der Westzone sind auf dem Wege zur politischen Freiheit“, mit diesen Worten und dieser Idee kämpfte Konrad Adenauer für die Vereinigung Deutschlands. Das war sein klarer Gegenentwurf zum Nationalsozialismus oder anderen totalitären Regierungsformen.

Es war damals nicht einfach, diese Ziele auch zu erreichen, denn die historischen Umstände des Entstehens des Grundgesetzes waren sehr schwierig, was vielen von uns heute so nicht mehr bewusst ist. Am 1. Juli 1948 hatten die Vertreter der Westalliierten die Ministerpräsidenten und Bürgermeister der westlichen Länder beauftragt, einen westdeutschen Staat zu gründen. Auf deutscher Seite hatte man die Sorge, dass über eine Verfassung für einen westdeutschen Staat die befürchtete dauerhafte Aufspaltung Deutschlands beschleunigt werden würde. Dennoch musste man den Forderungen der Alliierten entsprechen.

Eines war den Ministerpräsidenten und Bürgermeistern der damals elf Bundesländer Westdeutschlands klar: Es musste einen Staat im Westen Deutschlands geben, der für ein vereintes Deutschlands in Frieden und Freiheit kämpft. Die Gründung eines westdeutschen Staates dürfe nicht dazu führen, dass Ziel eines gesamtdeutschen Staates in Frieden und Freiheit dauerhaft zu verhindern. Daher hat man sich am 26. Juli 1948 mit den drei westlichen Militärgouverneuren darauf verständigt, eine Kommission einzusetzen, die eine verfassungsrechtliche Grundlage für den von den Westalliierten kontrollierten Teil Deutschlands, die künftige Bundesrepublik, ausarbeiten sollte. Dabei wollte man die Teile Deutschlands, die an der Erarbeitung dieser verfassungsrechtlichen Grundlage nicht mitwirken konnte, bewusst nicht ausgrenzen. So wurde diese Kommission von „Verfassungskommission“ in „Parlamentarischen Rat“ umbenannt und der Begriff „Verfassung“ durch „Grundgesetz“ ersetzt, um so den vorläufigen Charakter zu betonen und Regelungen auszuarbeiten, wie die Geltung des Grundgesetzes auf weitere Gebiete ausgedehnt werden kann und es zunächst bis zum Erlass einer Verfassung befristet, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung angenommen wurde.

Wie setzte sich der Parlamentarische Rat zusammen?

Der Parlamentarische Rat hatte 65 stimmberechtigte Mitglieder, die von den einzelnen Landesparlamenten gewählt wurden. 61 Männer und vier Frauen. Dies waren Helene Weber von der CDU, Elisabeth Selbert und Friederike Nadig von der SPD sowie Helene Wessel von der Zentrumspartei. Dem Rat gehörten außerdem fünf vom Großberliner Stadtrat gewählte Mitglieder an, die jedoch nicht stimmberechtigt waren.

Konrad Adenauer wurde zum Vorsitzenden des parlamentarischen Rates gewählt. Neben seiner Mitwirkung an der Ausarbeitung des Grundgesetzes hatte er auch die Aufgabe, die Verhandlungen mit den Militärgouverneuren sicherzustellen.

Wie wurde das Grundgesetz beschlossen?

In nur neun Monaten, vom 1. September 1948 bis zum 8. Mai 1949, hatte Parlamentarische Rat in Bonn das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ausarbeitet. Nach 36 Änderungen wurde das Grundgesetz am 8. Mai 1949 um 23:55 Uhr mit 53 zu 12 Stimmen angenommen.

Vom 18. bis 21. Mai 1949 stimmten dann zehn Bundesländer dem Entwurf zu. Nur im Bayerischen Landtag fand das Grundgesetz keine Mehrheit. Hauptkritikpunkt der Bayern war, dass das Grundgesetz zu wenig föderalistisch sei. Da der Landtag aber zugleich festlegt hatte, das Grundgesetz anzuerkennen, sofern es mindestens zwei Drittel der Bundesländer ratifizieren würden, konnte es dennoch am 23. Mai 1949 verkündet werden und mit Ablauf des Tages in Kraft treten.

Der 23. Mai 1949 wurde so zu einem der bedeutendsten Tage in der neueren Geschichte Deutschlands, da an diesem Tag das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet wurde. Zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung war das Grundgesetz nur in den westlichen besetzten Gebieten (außer dem Saarland) gültig.

Was waren die wichtigsten Werte des neuen Grundgesetzes?

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten die Diktatur des Dritten Reiches mit allen seinen Schrecken erlebt und wussten daher, wie wichtig ein neues gesellschaftliches Fundament für die künftige Entwicklung des Landes ist. Daher stellten sie bei ihrem Entwurf die Menschenrechte und ihren Schutz in den Vordergrund und verankerten diese schließlich im Grundgesetz.

In Bezug auf die Religions- und Glaubensfreiheit wurden bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes die bereits in der Weimarer Republik bestehenden Werte zugrunde gelegt und einige Artikel der Weimarer Verfassung direkt in das Grundgesetz übernommen. Diese Artikel regelten die Beziehungen zwischen Staat und Kirche.

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ist ein weiteres zentrales Versprechen der deutschen Verfassung. Es ist das Versprechen, niemals auf die Demokratie zu verzichten und soziale Verantwortung zu übernehmen. Zudem wurden ganz bewusst Festlegungen getroffen, um die Kompetenzen von Ländern und damit auch von Kommunen zu definieren und vor einen Eingriff durch den Bund zu schützen.

Zugleich wurde auch die Rechtstaatlichkeit im Entwurf als zentrales Leitmotiv staatlichen Handelns verankert und geschützt.

Wie wurde das Grundgesetz zur Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands?

Nachdem bereits 1957 die Geltung des Grundgesetzes auch auf das Saarland ausgedehnt wurde, stellte sich nach dem Fall der Mauer am 3. Oktober 1989 die Frage nach einer Wiedervereinigung. Die CDU, die CSU und auch die FDP waren unter Führung von Helmut Kohl, Theo Waigel und Hans-Dietrich Genscher klar dafür. Oskar Lafontaine und weitere führende Genossen der damaligen SPD waren dagegen und sprachen sich öffentlich für einen Fortbestand zweier deutscher Staaten aus. Helmut Kohl stellte national und auch international die Weichen für die deutsche Wiedereinigung, die dann auch durch den jüngst verstorbenen Wolfgang Schäuble entscheidend verhandelt wurde.

In diesem Prozess wurde diskutiert, wie die Wiedervereinigung verfassungsrechtlich vollzogen werden kann und wie eine gesamtdeutsche Verfassung gefunden werden kann. Die Debatten begannen zunächst mit der Frage, ob die Vereinigung im Rahmen des Artikels 23 als Beitritt oder des Artikels 146 des Grundgesetzes erfolgen sollte. Gemäß Artikel 146 hätte Deutschland nach der Wiedervereinigung eine neue Verfassung verabschieden müssen, doch nach einiger hitzigen Diskussion entschied man sich für Artikel 23, der besagte, dass das Grundgesetz zunächst in der westlichen Besatzungszone gelten sollte und in anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen. Der Grund war, dass sich das Grundgesetz in den ersten 41 Jahre so gut bewährt hatte, dass es eine breite gesamtdeutsche Mehrheit gab, das Grundgesetz als verfassungsrechtliche Grundlage des wiedervereinigten Deutschlands fortzuführen. Zudem hätte die Erarbeitung einer neuen Verfassung erheblich Zeit beansprucht und während dieses Zeitraums rechtliche Unsicherheiten geschaffen. Durch die Nutzung des Artikels 23 und die Annahme des Einigungsvertrags durch Bundestag, Bundesrat und Volkskammer mit Zweidrittelmehrheiten wurde das Grundgesetz am 3. Oktober 1990 zur gesamtdeutschen Verfassung.

Wie sieht die Bilanz nach 75 Jahren Grundgesetz aus?

Heute können wir feststellen, unser Grundgesetz hat sich bewährt. Unser Grundgesetz ist mehr als nur ein Rechtsdokument. Es ist ein wichtiger Garant für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde in Deutschland. Es gewährleistet den Schutz der Grundrechte jedes Einzelnen sowie die Einhaltung der Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit.

Das Grundgesetz selbst spricht von der Förderung und Wahrung dieser Werte. Das Grundgesetz verbietet daher Änderungen, die die föderale Struktur der Länder oder die grundsätzliche Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung verändern würden.

Mit der Verankerung eines solchen Verbots im Grundgesetz wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Souveränität der Länder schützen und zugleich eine zu starke Zentralisierung der Macht verhindern. Dies war auch eine Lehre aus den Erfahrungen im Nationalsozialismus. Hitler hatte ein sogenanntes Gesetz zur „Gleichschaltung“ der Länder des Deutschen Reiches erlassen, das die Mehrheitsverhältnisse des Reichstags auf die Länderparlamente übertrug. Damit waren die Länderparlamente faktisch bedeutungslos und Deutschland zu einen Zentralstaat geworden.

Das Grundgesetz stellte außerdem die Unzulässigkeit einer Änderung der Grundsätze des Art. 1 (Menschenwürde) und des Art. 20 (Verfassungsgrundsätze-Widerstandsrecht) fest. Damit wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes Deutschland vor einer Situation wie dem Nationalsozialismus und vor der möglichen Wiederholung vergleichbarer Situationen schützen.

Das Grundgesetz hat in diesen 75 Jahren fast 70 Veränderungen erfahren. Eine der ersten bedeutenden Veränderungen war die damals nicht unumstrittene Aufrüstung Deutschlands durch die Schaffung der Bundeswehr. Damals waren die SPD und auch viele Bürger dagegen. Letztlich gelang es Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß viele Mitbürger und auch Parlamentarier trotz der Erfahrungen der Weimarer Republik und des Dritten Reiches zu überzeugen und dafür den rechtlichen Rahmen zu setzen.

Wenn wir über die Änderungen im Grundgesetz sprechen, sollten wir die Gleichberechtigung von Frauen und Männern nicht vergessen. Sie wurde nach vielen Debatten und Kämpfen zwar bereits 1949 im Grundgesetz verankert, manche einzelgesetzlichen Umsetzungen daraus erfolgten aber erst deutlich später. Obwohl vorgesehen war, dass die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs bis 1953 an das Grundgesetz angepasst werden sollten, wurde erst am 3. Mai 1957 vom Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des Zivilrechts“ verabschiedet. Nach zahlreichen Gesetzesänderungen in den 1970er und 1980er Jahren wurde im Jahr 1994 Artikel 3 des Grundgesetzes um folgenden Satz erweitert: „Der Staat trägt zur tatsächlichen Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern bei und arbeitet an der Beseitigung bestehender Defizit“.

Es wurden auch Änderungen beim Wahlrecht vorgenommen: Die Herabsetzung des aktiven Wahlalters von 21 auf 18 Jahre und die Herabsetzung des passiven Wahlalters, auf den Zeitpunkt der Volljährigkeit herabgesetzt wurde. 1993 wurde der Artikel 16a geschaffen, um einen Missbrauch des Grundrechts auf politisches Asyl besser bekämpfen zu können.

Diese und weitere Veränderungen zielten darauf ab, neuen Herausforderungen Rechnung zu tragen und unsere Demokratie zukunftsfest zu machen.

Volljährigkeit herabgesetzt wurde. 1993 wurde der Artikel 16a geschaffen, um einen Missbrauch des Grundrechts auf politisches Asyl besser bekämpfen zu können.

Diese und weitere Veränderungen zielten darauf ab, neuen Herausforderungen Rechnung zu tragen und unsere Demokratie zukunftsfest zu machen.

Deshalb ist 23. Mai 2024 nicht nur ein Jahrestag eines wichtigen Ereignisses in der deutschen Geschichte, das es zu feiern gilt. Es ist ein Fest der Stabilität, Freiheit und Demokratie. Das Grundgesetz ist als Verfassung das Fundament der Gesellschaft. Es schützt die Grundrechte und Freiheiten jedes Einzelnen. Es garantiert die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Meinungsfreiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz und viele andere wichtige Prinzipien, die das Rückgrat unserer Demokratie bilden. Dennoch gilt: Auch die beste Verfassung schafft keine lebendige Demokratie. Jeder Einzelne von uns ist aufgefordert, sich für unsere Demokratie einzusetzen und sie zu schützen.

Wie geht es weiter?

Wir leben in einer Zeit, in denen autoritäre Tendenzen überall auf der Welt zunehmen. Gleichzeitig bedrohen auch Links- und Rechtsextremisten, sowie Islamisten und weitere Fundamentalisten unsere Demokratie. Das Grundgesetz erinnert uns daran, dass eine freie und gerechte Gesellschaft nur durch den Schutz der Rechte und Freiheiten aller Bürger erreicht werden kann.

Der 75. Jahrestag des Grundgesetzes ist deshalb nicht nur eine Gelegenheit, über die Vergangenheit nachzudenken. Es ist zugleich Auftrag zum Handeln an uns alle für die Zukunft. Demokratie lebt vom Mitmachen, sei es bei Wahlen, in Parteien oder im Alltag. Dazu gehören auch Toleranz, Respekt vor anderen Meinungen und demokratischen Entscheidungen. Auch dies sollten wir als Auftrag für uns selbst aus diesem Jahrestag mitnehmen und jeder sollte dies umsetzen.


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