Ein Jahr „Zeitenwende“ – die Fakten

von hierl

3. März 2023

2-Prozent-Ziel, Sondervermögen, Waffen für die Ukraine – nach dem russischen Angriff machte der Kanzler erstaunlich konkrete Angaben zur Aufrüstung der Bundeswehr. Heute würde er diese Rede wohl kaum noch einmal halten, denn ein Jahr später ist von seinen Versprechen nicht viel übrig geblieben. Die Fakten.

Am 27. Februar 2022 hat Olaf Scholz seine viel zitierte Zeitenwende-Rede gehalten. Dafür hat er viel Anerkennung erhalten – nicht zuletzt von Oppositionsführer Friedrich Merz. Es hatte den Anschein, dass der Kanzler die richtigen Schlüsse aus dem Angriff Russlands auf die Ukraine gezogen hat. Besonders beachtenswert waren seine Ankündigungen zur Bundeswehr und zur Unterstützung der angegriffenen Ukraine. Hier stellte er Standpunktwechsel in Aussicht, die für einen SPD-Kanzler geradezu überraschend sind. Doch ein Jahr später sind diese Ankündigungen nur zum Teil oder gar nicht umgesetzt.

Die zentralen Aussagen des Bundeskanzlers im Realitätscheck:

Das 2-Prozent-Ziel:

Was Olaf Scholz versprochen hat: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“

Die Fakten: Diese Aussage ist schlicht falsch. Im Jahr 2022 gab Deutschland 1,44 seines BIP für Verteidigung aus. Im Jahr 2023 waren es 1,57%.

Der Verteidigungshaushalt wurde außerdem 2023 im Vergleich zum Vorjahr sogar gekürzt. Zwischen der Ankündigung von Olaf Scholz und der Wirklichkeit im Verteidigungsetat klafft also eine enorme Lücke. Selbst wenn in den Jahren 2024 und 2025 das Sondervermögen (dazu unten mehr) zur Aufstockung auf die 2 % genutzt wird, wird die NATO-Vorgabe schon 2026 wieder gerissen werden.

Das Sondervermögen

Was Olaf Scholz versprochen hat: „Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld. Wir werden dafür ein Sondervermögen Bundeswehr einrichten […] Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen.“

Die Fakten: Das 100-Milliarden Sondervermögen wurde unter maßgeblicher Beteiligung der CDU/CSU eingerichtet. Aber, es wurde bislang nicht für Investitionen und Rüstungsvorhaben verwendet!

– Das Sondervermögen für die Bundeswehr hat in einem Jahr mehr Geld durch die Inflation verloren, als die Bundesregierung für Beschaffungsmaßnahmen ausgegeben hat. Von den 100 Milliarden Euro, die am 03. Juni 2022 vom Deutschen Bundestag freigegeben wurden, sind bis Jahresende mehr als 13 Milliarden Euro durch Inflation und Zinsen verschwunden, ohne dass ein einziger Euro für Ausrüstung oder Material ausgegeben wurde.

– Die einzige bedeutsame Entscheidung, die Bestellung von F35-Kampfflugzeugen, war bereits planerisch in der vergangenen Wahlperiode angelegt. Aber auch hier wird es Jahre dauern, bis das Gerät bei der Truppe ankommt.

– Wichtige Weichenstellungen bei der Beschaffung von Panzern, Munition und Ausrüstung sind bis heute nicht erfolgt. Allein bei der Munition existiert aktuell eine 20-Milliarden-Euro-Finanzierungslücke. Unsere Bundeswehr wäre mit dem aktuellen Munitionsbestand nicht in der Lage, sich länger als 3 Tage zu verteidigen. Mit dem Sondervermögen hätte man hier Abhilfe schaffen können, doch es sieht keinen einzigen Euro für die Neubeschaffung von Munition vor. Die Industrie hatte sogar fertigproduzierte Bestände angeboten, aber die Bundesregierung hat diese abgelehnt.

Unterstützung für die Ukraine

Was Olaf Scholz versprochen hat: „Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan. Deutschland wird dazu seinen solidarischen Beitrag leisten.“

Die Fakten: Deutschland ist bei der Lieferung von dringend benötigten Waffen an die Ukraine kein Vorreiter, sondern Bremser. Die Frühjahrsoffensive Russlands läuft und die Ukraine wartet seit langer Zeit auf die Lieferung deutscher Kampfpanzer, die sie für die Verteidigung braucht. Viel zu lange hat der deutsche Bundeskanzler hier gezögert. Deutschland steht deswegen bei vielen NATO-Partnern massiv in der Kritik.

– Die baltischen Außenminister haben Deutschland über Twitter offiziell aufgerufen, der Ukraine endlich Leopard-Panzer zur Verfügung zu stellen: „Wir fordern Deutschland dazu auf, der Ukraine jetzt Leopard-Panzer zur Verfügung zu stellen. Das ist notwendig, um die Russische Aggression zu stoppen, der Ukraine zu helfen und den Frieden in Europa schnell wiederherzustellen. Deutschland als die führende europäische Macht hat in dieser Hinsicht eine spezielle Verantwortung.“ (orig.: „We call on Germany to provide Leopard tanks to Ukraine now. This is needed to stop Russian aggression, help Ukraine and restore peace in Europe quickly. Germany as the leading European power has special responsibility in this regard.“ (Tweet von Edgars Rinkevics, 21.01.2023))

– Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki spricht mittlerweile sogar von Misstrauen gegenüber Deutschland: „Ich würde sagen, dass es vor einem Jahr viel Vertrauen vieler anderer Länder in Deutschland gab. Und jetzt hat sich dieses Pendel in Richtung Misstrauen bewegt. Insbesondere innerhalb der Familie der mittel- und osteuropäischen Länder und auch der Mitglieder der Europäischen Union.“ (BILD, 02.02.2023)

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